Anni Aussen, geb. 25.5.1924 Wijhe, Hemmerden, Auschwitz 17.9.1943

 Hertha Aussen, geb. 24.5.1926 Wijhe, Hemmerden, Auschwitz 17.9.1943

Erftkurier, 1. Februar 2012 - Am Samstag besuchte der Geschichtsverein unter der Führung von Ulrich Herlitz zum Holocaust-Gedenktag das ehemalige Judendurchgangslager Westerbork, um den Spuren der Familie Aussen, deren Mutter aus Hemmerden stammte, zu folgen.
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Ulrich Herlitz, "Die letzte Abschiedskarte erhälst Du aus dem Zug. Wir sind voll guter Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen...!", in: Stattblatt Ausgabe 3-2011, S. 24f

1923 heirateten Jakob Aussen und Klara Winter in Hemmerden. Er war Holländer, sein Bruder Moses Aussen betrieb in Hemmerden eine Metzgerei, sie war Deutsche und ihr Bruder Karl Winter führte in Hemmerden das traditionsreiche und seit mehreren Generationen geführte Maßschneiderei- und Konfektionsgeschäft „Lazarus Winter & Söhne“ fort.

Das junge Ehepaar verzog nach Holland in das nahe der deutsch-niederländischen Grenze gelegene Dorf Wijhe, wo die beiden Töchter Anna Sophia am 25. Mai 1924 und Hertha 24. Mai 1926 geboren wurden. Kurze Zeit später verbrachten sie noch zwei Jahre in Hemmerden, bevor sie sich endgültig in Wijhe niederließen und dort schnell heimisch wurden. Jakob Aussen arbeitete dort erfolgreich als Schmied und Klara Aussen wurde niederländische Staatsbürgerin.

Im Jahr 1935 verzog auch Moses Aussen mit seiner Ehefrau Lina – eine Schwester von Klara - mit ihrem Sohn Karl und den beiden Töchtern Sofie und Henny ebenfalls in das deutsch-niederländische Grenzgebiet nach Zelhem. Nicht zuletzt, weil die über Jahre erfolgreich geführte Metzgerei in Hemmerden wegen ständiger antisemitischer Boykottmaßnahmen kaum noch zum Lebensunterhalt beitrug. Die Grenzlage bot einerseits Sicherheit, andererseits Nähe zur in Hemmerden verbliebenen Familie.

Die Metzgerei „M. Aussen & Sohn“ hatte auch in Zelhem schnell einen ausgezeichneten Ruf.
Die Aussen gehörten der Synagogengemeinde in Deventer an. Dort besuchten die beiden Schwestern Annie und Hertha die Schule. Annie lernte anschließend in einer Druckerei und Buchhandlung, während Hertha im April 1940 die weiterführende Haushaltsschule in Zelhem besuchte.

Doch mit der Besetzung der Niederlande im Mai 1940 gerieten auch die beiden Familie Aussen in die Fänge der antisemitischen NS-Vernichtungspolitik. Nachdem die Juden im Januar 1941 reichsweit registriert wurden, musste Hertha die Schule im September verlassen; alle Radioapparate und Fahrräder wurden bis auf einige Ausnahmegenehmigungen eingezogen.
Wie bedrohlich die Lage war, musste die Familie Aussen schon wenige Monate später auf brutalste Weise erfahren. Bereits am 8. Oktober wurde Karl Aussen im Rahmen einer Razzia aufgegriffen und in das im ehemaligen Österreich gelegenen KZ nach Mauthausen deportiert. Dort ist er am 15. November 1941 ermordet worden und war damit das erste NS-Opfer innerhalb der Familie Aussen.

Im Mai 1942 erging in den Niederlanden die Anordnung, dass alle Juden einen Judenstern tragen mussten. Auch aus Deutschland mehrten sich die Schreckensmeldungen, das Schicksal der im Dezember 1941 von Hemmerden in das Ghetto nach Riga deportierten Familienangehörigen blieb auch Hertha Aussen nicht verborgen, die ihrer Freundin Netty in einem Brief im August 1942 schrieb, dass sie „eine eklige Nachricht nach der anderen“ aus Deutschland erhielt und eine Nichte von 20 Jahren „weg“ sei. Hertha schrieb ihrer Freundin, dass ihr wohl in nächster Zukunft ein ähnliches Schicksal drohe…

In der Nacht des 2. Oktobers 1942 wurde dann tatsächlich die gesamte Familie von Hertha Aussen im Rahmen einer Razzia in das „Polizeiliche Durchgangslager“ nach Westerbork verbracht. Die Zahl der Lagerinsassen wuchs über Nacht von 2.000 auf etwa 13.000. Wurden die Insassen zunächst als Arbeitssklaven missbraucht, verließen zwischen Juli 1943 und September 1944 insgesamt 93 Züge das Lager Westerbork mit insgesamt 100.000 niederländischen Juden. Ziel waren die Vernichtungslager des Ostens.

Auch die Ehefrau von Moses Aussen, Lina Aussen, wurde aus dem jüdischen Krankenhaus „Het Appeldoornse Bos“, das in der Nacht vom 21. auf den 22. Januar 1943 aufgelöst wurde, wie alle anderen Bewohner auch abgeholt und via Westerbork nach Auschwitz deportiert, wo sie vergast worden ist

Moses Aussen und die Tochter Sofie entgingen der Deportation, weil sie sich entschlossen hatten, zusammen mit Kurt Levi, dem späteren Ehemann von Sofie, im April 1943 unterzutauchen. Hilfe erhielten sie durch die niederländischen Familien Vreeman, Boesveld und Veenhuis. Dennoch gestaltete sich das Leben in der Illegalität sehr schwierig. Sie hatten keinen Anteil an der Lebensmittelverteilung und mussten ihren Lebensmittelbedarf unter ständiger Furcht vor Entdeckung am Schwarzmarkt decken. In Krankheitsfällen konnten sie keinen Arzt in Anspruch nehmen, weil sie fürchten mussten, sich dadurch ebenfalls zu verraten. Einmal wurde der in einem Heuhaufen versteckte Moses Aussen mit einer Heugabel schwer verletzt, ein anderes Mal fiel er nachts in einen Graben, verlor das Bewusstsein und und wurde erst am folgenden Tag völlig unterkühlt aufgefunden. Hinzu kam die ständige Ungewissheit über das Schicksal ihrer Familie.

Sofies Schwester Henny Aussen war mit Meier Sachs, dessen Bruder Philipp ebenfalls in Hemmerden lebte, verheiratet. Gemeinsam wurde die Familie mit dem am 23. November 1942 geborenen Sohn Karl von Zelhem in das Lager Vught (Herzogenbusch) verbracht, wo der nicht einmal ein halbes Jahr alte Karl am 18. April 1943 verstarb. Sein Vater Meier Sachs ist am 21. Dezember 1943 in Auschwitz ermordet worden, während Henny Sachs als einzige der Familie Lager und KZ überlebte.

Am 14. September 1943 musste auch Hertha Aussen mit ihrer Schwester und ihren Eltern, die bis dahin im Lager Westerbork als für den Lagerbetrieb unerlässliche, „gesperrte Personen“ geführt wurden, „auf Transport gehen“. Noch aus dem Zug nach Auschwitz konnte Hertha Aussen ihrer Freundin Netty einen letzten Brief schreiben: „Mein liebes Nettchen, die letzte Abschiedskarte bekommst Du aus dem Zug. Wie du sehen kannst. Wir sitzen hier mit vierzig Menschen und Gepäck und es ist sehr stickig in dem Viehwaggon. Wir sind voll guter Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in unserem geliebten, kleinen Holland. Leb wohl, ein Kuss. Hertha“.

Es war das letzte Lebenszeichen der Familie Aussen. Jacob Aussen ist mit seinen beiden Töchtern Annie und Hertha unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz am 17. September 1943 vergast worden. Die Mutter Klara überlebte Auschwitz, obwohl sie dort Opfer medizinischer Versuche wurde. Sie starb jedoch kurz nach der Befreiung des Lagers am 3. März 1945.

Jakob Aussen, geb. 26.5.1894 Steenderen, Hemmerden, Auschwitz 17.9.1943
Klara Aussen, geb. 19.12.1895 Hemmerden, Auschwitz 02.03.1945

Kinder:
Anni Aussen, 25.5.1924 Wijhe, Auschwitz 17.9.1943
Herta Aussen, 24.5.1926 Wijhe, Auschwitz 17.9.1943


Moses „Max“ Aussen, geb. 16.1.1883 Stenderen, Hemmerden, versteckt überlebt
Lina Aussen, geb. Winter 1.9.1884 Hemmerden, Auschwitz 25.1.1943

Kinder:
Sofie Aussen, geb. 8.11.1918 Hemmerden, versteckt überlebt
Karl Aussen, geb. 4.2.1910 Hemmerden, Mauthausen 15.11.1941

Henny Sachs, geb. Aussen 4.2.1909 Horde, KZ überlebt
Meier Sachs, 2.12.1904 Werther, 21.12.1943 Auschwitz

Enkel:
Karl Sachs, 23.11.1942 Zelhem, 18.4.1943 Kamp Vught

„Wir sind voll Hoffung auf ein baldiges Wiedersehen...“

Der Abschiedsbrief von Hertha Aussen im „Zug der Erinnerung“

 14. März 2008. Kölner Hauptbahnhof. Blickfang des Zuges ist eine ständig unter Dampf
stehende Dampflok aus dem Jahr 1919. Viele Menschen auf dem Kölner Hauptbahnhof bewundern zunächst die Lok auf Gleis 1, das auch als direkte Verbindung zwischen Domplatte und Hauptbahnhof von vielen Menschen genutzt wird. Vor dem Zug mit drei Anhängern haben sich lange Warteschlangen gebildet. Der Zug trägt die Aufschrift „Zug der Erinnerung“. Vielen Besuchern des Gleises 1 wird erst jetzt klar, dass sich in den Waggons die Ausstellung befindet, die das Schicksal deportierter Kinder nach Auschwitz thematisiert und durch ganz Deutschland Halt in Bahnhöfen macht, bevor der Zug am 8. Mai 2008 sein endgültiges Ziel Auschwitz ansteuern wird. Und er bereitet viel Ärger. Denn die Deutsche Bahn AG stellt für diesen Zug, der deutschlandweit von vielen Bürgerinitiativen finanziert wird, pro gefahrenen Kilometer, pro Aufenthaltsstunde in den Bahnhöfen ebenso wie für die Bereitstellung von elektrischem Licht „aus Gleichbehandlungsgründen“ – denn sonst könnten ja viele Bürgerinitiativen kommen- eine Rechnung und ignoriert selbst einen Appell des Verkehrsausschusses des Bundestages, eine Summe in Höhe des Rechnungsbetrages wenigstens zu spenden. Ein Skandal, der bei den Initiatoren, den nunmehr über 140.000 Besuchern des Zuges, vor allem aber bei jüdischen Überlebenden und den jüdischen Gemeinschaften in Deutschland zu heftigen emotionalen Reaktionen, wie am vorvergangenen Wochenende in Düsseldorf sogar zu Entgleisungen gegen den Bahnchef Hartmut Mehdorn führte. Denn die Deutsche Reichsbahn war in der NS-Zeit ein entscheidender Bestandteil der Vernichtungsmaschinerie und verdiente darüber hinaus auch noch an den Deportationen. 4 Pfennige pro Streckenkilometer für Erwachsene, 2 Pfennige pro Kind, gewährte allerdings einen Mengenrabatt für Züge ab 400 Personen.

Im „Zug der Erinnerung“ ist auch ein Abschiedsbrief von Hertha Aussen zu sehen, den sie am 17. September 1943 aus einem Deportationszug nach Auschwitz geworfen hat. Wer war das damals erst siebzehnjährige Mädchen Hertha Aussen. 

1923 heirateten ihre Eltern Jacob Aussen und Klara Winter in Hemmerden. Er war Holländer, sein Burder Moses Aussen betrieb in Hemmerden eine Metzgerei, sie war Deutsche und sein Bruder Karl Winter führte in Hemmerden das traditionsreiche und seit mehreren Generationen geführte Maßschneiderei- und Konfektionsgeschäft „Lazarus Winter & Söhne“ fort.

Das junge Ehepaar verzog nach Holland in das nahe der deutsch-niederländischen Grenze gelegene Dorf Wijhe, wo die beiden Töchter Anna Sophia am 25. Mai 1924 und Hertha 24. Mai 1926 geboren wurden. Kurze Zeit später verbrachten sie noch zwei Jahre in Hemmerden, bevor sie sich endgültig in Wijhe niederließen und dort schnell heimisch wurden.

Jakob Aussen arbeitete dort erfolgreich als Schmied und bald nahm Klara Aussen die niederländische Staatsbürgerschaft an. Im Jahr 1935 verzog auch Moses Aussen, dessen Ehefrau Lina ebenfalls der Familie Winter entstammte, mit seiner Familie ebenfalls in das deutsch-niederländische Grenzgebiet nach Zelhem, das einerseits Sicherheit, andererseits Nähe zur in Hemmerden verbliebenen Familie bot.

Die Aussen gehörten der Synagogengemeinde in Deventer an, wo auch die beiden Schwestern Annie und Hertha die Schule besuchten. Annie lernte anschließend in einer Druckerei und Buchhandlung, während Hertha dort im April 1940 die Haushaltsschule besuchte.

Doch mit der Besetzung der Niederlanden im Mai 1940 geriet auch die Familie Aussen in die Fänge der antisemitischen NS-Vernichtungspolitik. Nachdem die Juden im Januar 1941 reichsweit registriert, Hertha die Schule im September verlassen, alle Radioapparate und Fahrräder abgegeben werden mussten, erging im Mai 1942 die Anordnung, dass alle Juden einen Judenstern tragen mussten. Auch aus Deutschland mehrten sich die Schreckensmeldungen, das Schicksal der im Dezember 1941 in das Ghetto nach Riga deportierten Familie Winter blieb auch Hertha nicht verborgen, die ihrer Freundin Netty in einem Brief im August 1942 schrieb, dass sie „eine eklige Nachricht nach der anderen“ aus Deutschland erhielt und eine Nichte von 20 Jahren „weg“ sei. Hertha schrieb ihrer Freundin, dass ihr wohl in nächster Zukunft ein ähnliches Schicksal drohe.

In der Nacht des 2. Oktobers 1942 wurde die gesamte Familie im Rahmen einer Razzia in das „Polizeiliche Durchgangslager“ nach Westerbrok verbracht. Die Zahl der Lagerinsassen wuchs über Nacht von 2.000 auf etwa 13.000. Wurden die Insasssen zunächst als Arbeitssklaven missbraucht, verließen zwischen Juli 1943 und September 1944 insgesamt 93 Züge das Lager Westerbork mit insgesamt 100.000 niederländischen Juden. Ziel waren die Vernichtungslager des Ostens. Am 14. September 1943 befand sich in einem der Züge nach Auschwitz auch die Familie Aussen.

Noch aus dem Zug konnte Hertha Aussen ihrer Freundin Netty einen letzten Brief schreiben: „Mein liebes Nettchen, die letzte Abschiedskarte bekommst Du aus dem Zug. Wie du sehen kannst. Wir sitzen hier mit vierzig Menschen und Gepäck und es ist sehr stickig in dem Viehwaggon. Wir sind voll guter Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen in unserem geliebten, kleinen Holland. Leb wohl, ein Kuss. Hertha“.

Es war das letzte Lebenszeichen der Familie Aussen. Jacob Aussen ist mit seinen beiden Töchtern Annie und Hertha unmittelbar nach der Ankunft in Auschwitz am 17. September 1943 vergast worden, die Mutter Klara überlebte Auschwitz, starb jedoch noch nach der Befreiung im Januar am 3. März 1945.

Neben Hertha Winter sind auch andere Kinder aus Grevenbroich mit Zügen der Reichsbahn deportiert worden. So zum Beispiel die sechsjährige Hannelore Rübsteck aus Hemmerden oder die nicht einmal zwei Jahre alte Recha Katz aus Wevelinghoven, die wie die Familie Winter im Deportationszug nach Riga für die Fahrt in ihre Vernichtung eine Bahnfahrkarte bezahlen mussten. Einfache Fahrt, versteht sich.

In Köln durfte der „Zug der Erinnerung“ trotz des überwältigenden Besucherandrangs von 7000 Besuchern an einem Wochenende nicht länger stehen bleiben. Die Deutsche Bahn hatte keine Standzeiten mehr zur Verfügung, genauso wie jetzt in Hamburg – dort stehen nach Angaben der Bahn aus „bahnbetrieblichen Gründen“ überhaupt keine Standzeiten im Hauptbahnhof oder einem der zahlreichen anderen Personenbahnhöfen der Elbmetropole zur Verfügung. Nur auf einem Abstellgleis in Hamburg-Altona für fünf Stunden. Die Rechnung der Deutschen Bahn für den „Zug der Erinnerung“ beläuft sich mittlerweile auf über 100.000 EURO. Ein Skandal!